(10. Jänner 2021)
Flucht in die Virtualität
Ich habe mir den Dreikönigsgottesdienst mit Bischof Krautwaschl in ORF III angesehen und kam ins Grübeln. Natürlich ist diese Form der Coronaepidemie geschuldet, ich spüre aber eine Tendenz, an dieser virtuellen Form Gefallen zu finden – nicht als Notmaßnahme und nicht für Alte und Kranke, die in dieser Form den Faden nicht verlieren wollen, dagegen will ich natürlich nichts sagen: diese virtuellen Gottesdienste fokussieren auf das Tun des Priesters und insinuieren, das sei das Wesen einer Eucharistiefeier. Mitnichten, wenn wir uns ein bisschen näher mit dem Entstehen des Rituals der Abendmahlsfeier beschäftigen. Die Urgemeinde wollte dem Impuls Mt 18, 20 „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ folgen und versammelte sich am Sonntag in den Häusern, die gastgebenden Hausleute und auch vazierende Frauen und Männer, die sich besonders um die Verbreitung der Jesusbotschaft verpflichtet fühlten, erinnerten beim „Liebesmahl“, dem „Brotbrechen“, an die Worte, die Jesus ihnen mitgegeben hatte und in diesem Geist aßen sie das herumgereichte Brot und tranken aus dem Becher den Wein. Jesus war mitten unter ihnen. Aus dieser Energie heraus gestalteten sie ihr Leben als Christinnen und Christen, wie sie alsbald genannt wurden. Bei den Videogottesdiensten fehlt die versammelte Gemeinde um den Tisch herum, diese geht uns umso weniger ab, als wir ohnehin in die Bänke verbannt und längst in die Rolle der Zuschauenden gedrängt sind, wenngleich durch die Liturgiereformen des 20. Jahrhunderts hier versucht wurde, das zu verändern. Der Höhepunkt dieser virtuellen Form ist durch die Pandemie bedingt, das Austeilen des Brotes überhaupt auszusetzen. Ja, wozu dann denn diese ganze Feier, wenn das, worauf es ankommt, nicht stattfinden kann. Dann ist diese sog. Eucharistiefeier ein schönes Schauspiel mit einem Priester in der Hauptrolle – und das war es dann auch schon. Dann geht man vielleicht am Nachmittag in die Kirche, weil dann die Begegnung mit anderen Menschen verhindert werden kann und betet das heilige Brot im Tabernakel an. Wir sind nahe am Verehren der Hera im Keuschlammstrauch im Heraion auf Samos, um irgendeine heilige Handlung im religiösen Kontext zu assoziieren. Tendenz: körperlose und virtuelle Gottes/Göttinnenverehrung ohne sozialen Bezug. Und gerade der soziale Bezug macht das Christentum.
Wäre nicht der richtigere Weg angesichts der Notlage, die eucharistischen Rituale näher in die Familien zu ziehen, auch in die Kleinfamilien, die Eltern erinnern an das Urereignis und brechen miteinander das Brot, ich weiß natürlich auch, dass dies eine totale Überforderung ist, aber können nicht noch immer (!) engagierte Frauen und Männer in den Gemeinden eingeführt werden in diese Feiern von Hauskirchen, die wohl bald zu den sonntäglichen (weil wir ja auch jüdisch denken, auch in die samstagabendlichen) Höhepunkten des Glaubenslebens gehören könnten und die elende „Sonntagspflicht“ obsolet machen würden. Die Feiern im Rahmen des Kirchenjahres müssten dabei weiterhin zu den Eckpunkten des Gemeindelebens rund um die Pfarrkirchen bleiben, könnten mit weniger Kraftanstrengung gelöster in der Pfarrgemeinde (oder welche Form der Zugehörigkeit immer gedacht wird) stattfinden.
Der Versuchung, diese virtuellen Gottesdienste könnten uns weiterführen, kann bildhaft entgegen gehalten werden, dass Taufen im Fernsehen ein absolutes No-Go sind, weil hier der sakramentale Charakter sinnenfällig zutage tritt, der uns beim eucharistischen Brot (in dieser abstrahierten Form einer Oblate) schon durch die Bezeichnung „Altarssakrament“ abhanden gekommen ist.
Richtungsänderung ist angesagt! Ich weiß, dass meine Gedanken keineswegs neu sind, ich äußere sie trotzdem.
Liebe Freundinnen und Freunde der Grenzgespräche,
zu meinem Beitrag „Flucht in die Virtualität“ sind erfreulich viele Reaktionen eingetroffen, dem Sinn einer virtuellen Diskussion entsprechend, Reaktionen, die ich weitergeben möchte, damit sie in ein weiteres „Gespräch“ einfließen können.
Die Emails wenden sich an mich, ich habe sie anonymisiert und jene Teile weggelassen, die nicht zum Thema gehören, damit keine Missverständnisse auftreten oder Verdächtigungen in die Welt gesetzt werden.
I.
Lieber Karl… steht an den meisten Emails als Anrede…
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1
… Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Konzentration auf den Priester (=Darsteller) ist ein alter Makel und wenn das auch noch virtuell ist, wird es noch brisanter. Abgesehen von diesen Gefahren im Zuge der Pandemie weiter viele Leute als „Kirchgänger“ zu verlieren, wirfst Du natürlich die Frage auf, ob es überhaupt eines Geistlichen bedarf. Meines Wissens nach haben bereits Pico von Mirandola und auch Luther die Auffassung vertreten, der Mensch könne mit Gott(Göttin) direkt in Verbindung treten. Das unterstütze ich zu 100 Prozent.
Die andere Seite ist die soziale Begegnung, die virtuell nur sehr begrenzt möglich ist. Wenn wir uns vergegenwärtigen, welchen festen Halt Menschen in Kriegszeiten oder während Pestepidemien fanden und ein „Urvertrauen“ auf Gott ihnen Hilfe war, lässt sich erahnen, dass der überwiegende Teil der Menschen (zumindest in unseren Breiten) eine Sehnsucht nach etwas „Göttlichem“ hat, die irgendwie gestillt werden muss. Dazu bekenne ich mich auch gerne persönlich.
Für mich selbst ist der Messbesuch in den letzten Jahren zunehmend bedeutungslos geworden. Ich kann keinen Sinn darin finden, in den Kirchenbänken zu sitzen und Gebete mitzumurmeln, die mich weder ansprechen noch überzeugen. Zunehmend stören mich auch die im Prinzip grausamen Fresken und Heiligendarstellungen, die mich umgeben. Die Vorstellung einer Kirche als „Folterkammer“ ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen. Und an die Transsubstantiationslehre und die Auferstehungsgeschichte kann ich (leider?) nicht mehr glauben, anders gesagt, darauf kann ich nicht mehr vertrauen.
Worauf ich hinaus will: Um mich „als Teil eines großen Ganzen“ zu fühlen, bedarf ich nicht jedes 7. Tages eines erstarrten Rituals samt einer häufigen Moralkeule in der Predigt. Wobei die Predigt oft noch der „beste“ teil des Gottesdienstes ist. Die Begegnung mit anderen Menschen, das Erleben von Gemeinschaft und das „Empfinden“, dass andere Menschen mit mir mit einem göttlichen Prinzip verbunden sein können, möchte ich nicht missen.
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2
… ich bin nicht eher dazu gekommen, auf deinen Diskussionsbeitrag über die virtuellen „Messen“ zu reagieren. Denn ich möchte dir sagen, dass du mir ganz aus der Seele sprichst und damit auch einen neuralgischen Punkt in unserer Eucharistiepraxis ansprichst. Je kleiner die Gottesdienstgemeinde wird, desto mehr scheint sich der alte Opfercharakter „der Messe“ in den Vordergrund zu schieben und wird zunehmend zu einer Belastung unserer Priester – das erlebe ich Woche für Woche in unserer Pfarre. Mit den virtuellen Gottesdiensten sind wir beim alten „Beiwohnen“ angelangt.
Was deine Alternativen anlangt – Familien und Hausrunden – gibt es allerdings auch Probleme:
Erstens können wir sie gerade im Lockdown nicht durchführen.
Zweitens: Unsere Gottesdienstgemeinden werden immer kleiner, die Strukturen hingegen werden immer weiter ausgedehnt. Wenn wir den Sonntag in kleine Hauskirchen auflösen, bleibt von der „Gemeinde“, von der ich immer noch viel halte, nichts mehr übrig.
Ich feiere seit zweieinhalb Jahren kursorisch einmal im Monat den Sonntagsgottesdienst in Form einer Wortgottesfeier. Es hat sich gut eingespielt und wird bis auf eine Handvoll Kommuniontouristen erstaunlich gut angenommen. Da stößt mir z.B. sauer auf, dass es für Eucharistiefeiern eine Fegefeuer-Intention gibt, für die Wortgottesfeier eine Gedächtnis-Intention aber nicht erlaubt ist.
Deine Gedanken haben mich sehr bewegt. vielleicht können nach dem Lockdown damit weitermachen, damit wir nicht in die alte Normalität zurückfallen. Aber ich fürchte, wir haben inzwischen die Interessenten verloren.
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3
… Danke für deinen Beitrag!
Ich sehe es auf jeden Fall als Problem, wenn die Kirche die (realen) Gottesdienste
total aussetzt, was angeblich in den Nachbarländern nicht der Fall ist.
Die 10 Quadratmeter-Regelung, die es einmal gegeben hat, und eventuell Anmeldung,
wäre doch (mit Maske und Abstand) Schutz genug. Und ein wenig Singen wäre da auch
kein Problem, in so großen Kirchen wie z.B. in xxx schon gar nicht. Da kommen eh nicht so viele Leute. Viele trauen sich jetzt sowieso nicht.
Ich meine, dass es sich die Kirche zu leicht macht mit der derzeitigen „Regelung“,
und die meisten Priester tun jetzt so gut wie gar nichts.
Wo bleibt hier das „Homeschooling“???
Unser Pater N. sagt, es gibt private Messen mit maximal 10 Personen – geradezu lächerlich!
Aber warum wird man nicht einmal als Mitarbeiter (Kantor, Lektorin, Kirchenchormitglied, Sternsinger, Firmhelfer) hin und wieder zu einer solchen Messe eingeladen???
Andererseits gewöhnt sich unsereiner (ich jedenfalls schon) auch an dieses Nichtstun.
Von Mitfeiern bei einer Messe im Radio oder Fernsehen kann da keine Rede sein:
Evangelium und Predigt ja, und der Rest „plätschert so dahin“.
Und mit anderen Menschen oder gar Familien soll man sich ja schon gar nicht treffen.
Ich glaube und fürchte, dass die Kirchen nach überstandener Pandemie noch leerer sein werden als vorher.
Das ist also nicht nur Corona-Frust, sondern auch noch Kirchen-Frust.
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4
Natürlich würde ich mich auch bei einer Hausmesse fragen, falls die Predigt so grottenschlecht wäre wie bei meinen u.a. Zweifeln an der Sinnhaftigkeit.
Auch reine Freundeskreise sind nicht immer gleich befriedigend, zugegeben. Und das mit der Sonntagsruhe hat ja sogar biologistische Argumente für sich.
Aber insgesamt dürften weder Karl noch ich sich von der großen Masse der Christen, Katholiken oder wie immer unterscheiden, die ja auch nicht in Scharen der (schon vor Corona) geübten Sonntagspraxis folgen. Man kann also schon darüber nachdenken, was man ändern könnte…
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5
… besten Dank für den Text „Flucht in die Virtualität“. Auch wir glauben, dass die diversen virtuellen Treffen, vor allem die Gottesdienste, zu einer bequemen Form des Nicht mehr Zueinanderfindens verkommen können. Sie haben völlig Recht, eine Abendmahlfeier kann nur im Kreise von Feiernden mit Brot und Wein stattfinden. Ihre Anregung, im Kreise von Familie und oder Freunden zu feiern, haben wir in der von Prof. Johannes Parizek (soll genannt sein!) gegründeten und geführten Familienrunde Ende der 60er-Jahre sozusagen vorweggenommen. Meine Frau und ich waren in der katholischen Runde das ökumenische Salz in der Suppe und in einer Diskussionsrunde mit Bischof Weber hat der Bischof auf die Frage meiner Frau, ob sie als Evangelische an der Eucharistiefeier teilnehmen darf gesagt: SIE DÜRFEN.
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6
Warum gibt es den freien Sonntag?
Es sollte den Christen die Gelegenheit bieten, den
Sonntagsgottesdienst zu besuchen und der Ruhe zu pflegen, sich vom
16-Stunden-Arbeitstag zu erholen, soweit sie nicht zur kleinen Clique des Geburts- oder Geldadels gehörten.
Wenn man die Eucharistiefeier von den (Kirchen-)Gemeinden in die
Freundeszirkel verlegte, gäbe es ein Argument weniger, den Sonntag als
allgmeinen Ruhetag zu erhalten. Aber das ist nur ein Aspekt.
Ich weiß auch nicht, ob Du Dich nicht auch bei einer „Hausmesse“
fragen würdest, warum Du Dir das antust.
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… Wir (N. und ich) haben uns nicht angewöhnt, dieses TV-Substitut einer wirklichen Eucharistiefeier zu konsumieren.
Da halte ich es mit J. W. : Eine Fernsehübertragung eines interessanten Ereignisses ist wie das Bild eines Wienerschnitzels im Vergleich zu einem echten.
Trotzdem habe ich Einwände gegen manche von Karl Mittlinger weitergeleiteten
Textteile:
„Erbärmliche Sonntagspflicht obsolet machen“ bürstet bei mir vollkommen gegen den Strich.
Warum?
- Für mich ist der Sonntag wichtig, weil er bei arbeitenden Menschen (zu denen wir und auch Karl uns nicht mehr wirklich zählen können) ein wichtiger Ruhepol in einer stressreichen Woche ist („Am 7. Tag sollst du ruhen“ – auch bei den von Karl zitierten Juden).
- Die gemeinsame Freizeit in der Familie = Sonntag. Nicht irgendwann, wenn eine Freundesrunde zusammenkommt.
- Die christliche Gemeinde braucht die Zusammenkunft, je profaner das Umfeld ist, desto mehr. Die gegenseitige Bestärkung ist notwendig.
- Ich warne vor kleinen privaten Zirkeln mit dem Risiko der Entwicklung spiritistischer Rituale. Das Angenehme einer Auslandsreise ist für mich der Besuch eines Sonntagsgottesdienstes dort. Da weiß ich, selbst wenn ich die Sprache nicht verstehe, was da geschieht.
- Und in der jetzigen Pandemie-Situation ist vor „Freundschaftsrunden“
anscheinend zu warnen (Beispiel = britische „Schilehrer“ in Jochberg).
Mir geht der (echte) Sonntagsgottesdienst in der Kirche ab, die TV-Übertragung halte auch ich nicht für einen nur annähernd ausreichenden Ersatz. Doch in dieser außergewöhnlichen Zeit möchte ich trotzdem weder die Nerven noch meine Sonntagsbezogenheit über Bord werfen.
>>> meine Antwort (Karl M.)
Lieber N., herzlichen Dank für deine Replik, das ist es, was diese Grenzgespräche in der Pandemie sein könnten, Auseinandersetzung mit einem Thema.
Ja, die erbärmliche Sonntagspflicht, vielleicht sehr subjektiv formuliert aus meiner Lebensgeschichte, diese Pflichtverletzung war eine schwere Sünde, sprich, musste gebeichtet werden, war eine Ratenzahlung für den Höllenaufenthalt. Und so waren auch die Gesichter am Kirchplatz, stolz auf die Pflichterfüllung, gleich neben der ehelichen Pflicht…
Deshalb stimme ich dir zu bei deiner Meinung zum Sonntag, Ruhepol… aber die Stärkung im gemeinsamen Glauben wird nicht mehr erlebt, weil die Messfeier nicht mehr als die Teilnahme am Abendmahl Jesu gesehen wird vor lauter Tabernakelfrömmigkeit, siehe mein Text.
Deine Warnung vor den kleinen privaten Zirkeln ist besonders wichtig, habe ich vielleicht zu wenig gesehen: das Abgleiten in obskure Geheimzirkel… kennen wir aus der Kirchengeschichte, die Schwärmerbewegungen, die Schuster, die die Bibel auslegen und dann die Heugabeln in der Hand, gegen die Obrigkeit ausrücken … weniger Angst hätte ich vor religionsübergreifenden Vermischungen von Lebensweisheit und Erkenntnis, vielleicht würde in diesem Zusammenhang eine versteinerte Dogmatik aufgesprengt und der Glutkern des Christentums, Bergpredigt, Vaterunser und Solidarität in den Mittelpunkt rücken – sofern es gelingt, wieder in die Spur zu kommen nach den Abwehrbewegungen gegen die moralische Krake, die das freie Denken eingeschränkt hat mit ihrer Schuldkultur. Je sündenbehafteter die Menschen, desto leichter waren sie durch Drohungen gefügig zu machen. Devise der kirchlichen Predigt. Das ist nicht mehr die kirchliche Devise, wirst du einwenden und die Jungen denken nicht mehr so. Ja, aber gerade die jungen Geistlichen tragen dieses Virus in sich, wie beim Fieberblasenvirus, das jederzeit ausbrechen kann.
Ich will mich nicht in einen Wirbel hineinreden…
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… Von xxx habe ich ihren Text „Flucht in die Virtualität“ bekommen – und ich finde ihn ausgezeichnet.
Meine Bitte an Sie: darf ich ihn in unserer nächsten Zeitung (Frühjahr 2021) abdrucken? Er passt so genau in unsere Diskussion und wäre eine wichtige Bereicherung.
Sie können sich gerne davon überzeugen, wie genau wir mit Ihnen übereinstimmen: https://www.wir-sind-kirche.at/art-des-artikels/zeitung (speziell die Nummern 106, 107, 108).
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… ganz herzlichen Dank für deinen Text, der mich sehr beeindruckt hat und dem ich völlig zustimmen kann. Schade, dass eben derzeit (Corona-bedingt) diese Form religiösen/kirchlichen Lebens im engeren Kreis der Familie oder der entsprechenden „Runden“
beschränkt bleibt.
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… Ich verstehe dein Anliegen und kann es gut nachvollziehen! Es wäre wirklich eine spirituelle Belebung, würden die Rituale in Familien- oder Freundeskreise einziehen können, und dies wäre auch sicherlich näher an der ursprünglichen Idee!
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… ich wüsste nicht, was ich diskutierend zu Deinem Text beitragen könnte, denn das ist so selbstverständlich, dass ich Dich nur wiederholen könnte. Allenfalls bedauern, dass dies nicht allen so genau bewusst ist.
Aber ich möchte einen kleinen ergänzenden Hinweis anbringen: Die frühen Christen fanden als Sakralbau den heidnischen Tempel (bzw. vor seiner Zerstörung den der Juden in Jerusalem) vor. Diese Tempel dienten im Allgemeinen (meine Pauschalierung bitte nachzusehen) einerseits als Wohnstätte von Götterstandbildern und zu deren Verehrung, aber im Besonderen als Ort, wo auf Altären Brandopfer dargebracht wurden; bei den Juden nicht anders als bei den Heiden.
Als die Anzahl der Christen wuchs (also vor allem nach der Mailänder Vereinbarung 313) entstand natürlich das Bedürfnis nach großen Gemeindeversammlungsräumen. Dazu waren die klassischen Tempel auf Grund ihrer Architektur nicht recht geeignet – möglicherweise hatten die Christen auch Vorbehalte.
Die Architektur der Antike stellte aber einen anderen Bautyp zu Verfügung, der viele Menschen aufnehmen konnte: Dier römische Markthalle mit der erhöhten Apsis für den Praetor – also die Basilika. Diese wurde zum Prototypen der christlichen sakralen Baukunst – mit historischen Varianten eigentlich bis in die Gegenwart.
Auf dieses Wesensmerkmal der christlichen Gemeinde, Gemeinschaft zu sein, ausgedrückt durch ihre spezielle Baukunst, wollte ich ergänzend hinweisen. Dass die frühen Christengemeinden auch Armen-, Witwen-, Waisenversorgung ganz selbstverständlich betrieben, mag zu ihrer Attraktivität in den ersten Jahrhunderten beigetragen haben; jedenfalls mehr als der sektenhafte Fanatismus, den es leider auch gab.
Covid-19 macht leider vieles notwendig, was wir uns vor einem Jahr noch nicht vorstellten. Aber Du hast recht: Eine Messe vor dem Bildschirm ist keine Messe. Der PC mag vielleicht ersatzweise für eine gute Predigt dienen (gibt es leider nur selten).
Vielleicht noch ein kleiner Hinweis: Im lutheranischen Umfeld wurde zu den drei sog. geistlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe noch eine vierte, nämlich die Geduld hinzugefügt (wegen einer Stelle im Römerbrief).
Also: Wappnen wir uns auch als Katholiken tugendhaft mit Geduld!
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… danke für deine umfassenden Gedanken!
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… Danke für Ihre kritischen und hoffnungsvollen – weil der Bibel nahe – Worte.
Ich habe mich … immer für eine offene Kirche und der Wahrnehmung der Frauen als den Männern gleichberechtigte Kinder Gottes eingesetzt.
Wie viele Frauen und Männer in der Steiermark habe auch ich die Ausbildung zur Wortgottesdienst-Leiterin gemacht und in xxx viele, auch sonntägliche Feiern (kein ständiger Priester vor Ort), mit der Gemeinde begangen.
So wie in Notzeiten auch (real) getauft werden darf, so könnte diese besondere Zeit als solche erkannt werden – dann wäre diese Krise sogar eine Chance für unsere Kirche.
Haus-Liturgiefeiern sind die logische Weiterentwicklung bzw. „Rückbesinnung“!
Damit wären alle Diskussionen über Pflichtzölibat und der Zulassung der Frauen zu allen Ämtern überflüssig.
Noch ein Gedanke dazu: theoretisch könnte ein online Gottesdienst angeboten werden – „und keine/r geht hin“ – nimmt daran teil!
Wäre wohl gegen das 2. Vatikanum?
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… ich pflichte Dir bei diesem Phänomen völlig bei: Es bringt das auf den Punkt (und führt es – wie Du sehr schön bemerkst – zugleich ad absurdum!), was seit Johannes Paul II das Priesterverständnis ist. Die Herren Priester, die hier alle sich allein genügen, merken das gar nicht mehr, sie sind so von dieser Konzentration auf das hochstilisierte Priestertum konzentriert, dass sie meinen, damit die Notwendigkeit der Erfüllung der „Sonntagspflicht“ aufrecht erhalten zu können…
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Und so hoffe ich auf weitere Diskussionsbeiträge, herzlich
Karl Mittlinger
Weitere Diskussionsbeiträge (nach der obigen Aussendung)
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…Herzlichen Dank für die Zusendung dieser umfangreichen Zusammenfassung der erhaltenen Beiträge – ist eine neue Form der „Grenzgespräche“ und deren Diskussionen, allerdings aufwändig, aber dafür auch nachhaltiger, da sozusagen durch dich gleich auch „protokolliert“…Ja, bei mir wird dieses „Protokoll“ vielleicht erst nach dem Lockdown breitere Verwendung finden, wenn es wieder möglich ist, in einem größeren Kreis im persönlichen Umfeld darüber weiter zu diskutieren. Wenn ich die Beiträge so lese, dann kommt mir ein bildhafter Vergleich in den Sinn: eines unserer 6 Enkelkinder hat heuer ganz enttäuscht festgestellt, dass sich die Sache mit dem Christkind und den Geschenken ganz anders verhält, als sie das erzählt bekommen hatte. Sie konnte mich nämlich dabei beobachten, als ich mit Geschenken in der Hand vor der Bescherung das Wohnzimmer betrat …. Jetzt geht es darum, ihrer Fantasie eine neue Deutung dieser Person Jesus, nämlich dessen Erwachsenwerden und -sein zu erklären! Da ging mir nun der Vergleich durch den Kopf, dass ja auch wir „Erwachsene“ uns im Laufe des Lebens zumindest ein weiteres Mal – viele Menschen wie ich auch öfter – um das Mitwachsen unseres Jesus- und damit Gottesbildes kümmern müssen – mit oder ohne Pandemie (durch eine solche vielleicht sogar eher?) – wenn wir nicht die gleiche Enttäuschung erleben möchten wie Kinder, denen das „Christkind“ abhanden kommt!Ich jedenfalls vermisse die Unterstützung der Kirche bei der Förderung dieses Wachstums und habe den Eindruck, dass es vielen Priestern nicht ganz unrecht ist, wenn die „Schäfchen“ nicht sehr anspruchsvoll sind, nicht zu viel erwarten oder sie dazu gar etwas fragen. Apropos Fragen: Eine Wortgottesdienstleiterin in den von dir gemailten Beiträgen schreibt folgende Worte: „Da stößt es mir sauer auf, dass es für Eucharistiefeiern eine Fegefeuer-Intention gibt, für die Wortgottesfeier eine Gedächtnis-Intention aber nicht erlaubt ist“. Ich habe zwar auch die Ausbildung zum Wortgottesdienst-Leiter, kenn aber diese Einschränkung nicht. Vielleicht ist eine Erklärung deinerseits dazu auch für andere Leute als mich interessant?
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…Du hast ein Überlebensthema der Kirche aufgemacht. Besonders die steirische Kirche – die kennt man, weil näher, mehr – rudert im abgestandenen Wasser der hierarchisch-strukturierten Altkirche, deren Ende mit der fulminanten Feststellung „die Kirche als Volk Gottes“ vor bald 60 Jahren eingeläutet wurde. In der kommenden Zeit hörte man nicht genau hin, eben wurzelhaft und begnügte sich mit oberflächlicher (?) Kosmetik. Man beharrte trotz zahlreicher ökumenischer und interreligiöser Bemühungen auf die Konfessionskirche und entfernte sich von jenen, denen das Christentum Fundament und Lebensziel darstellt.
Dies zeigte sich besonders in der virtuellen Welt:
– die religiösen Feiern waren Priesterzentriert. (Der Vergleich mit den vielen Seitenaltären vergangener Kirchenbauten tat sich auf) und in den Medien hauptsächlich von beamteten Katholiken, und kaum von Frauen erläutert, in die Zeit gesprochen, Orientierung ermöglicht….
– „Journalisten als Exegeten“ schrieb der neue Chefredakteur der „Christ in der Gegenwart“: „Da sage noch einer, die säkulare Welt würde von den Christen nichts mehr erwarten! Die eindrücklichsten „Predigten“ wurden während des Pandemie-Weihnachten nicht in den Kathedralen gehalten – sondern fanden in den großen Zeitungen statt. Lernt die Kirche daraus?“
– es gäbe noch viele Beobachtungen…
Für das feierliche Zusammensein von Christen ist die zitierte Stelle Mt 18,20 wesentlich. Sie zwingt zur Entscheidung!
Hans Küng gibt eine Entscheidungshilfe:
„Wer im Neuen Testament den dogmatisierten Christus sucht, lese Ratzinger, wer den Jesus der Geschichte und der urchristlichen Verkündigung, lese Küng. Dieser Jesus ist es, der Menschen damals wie heute betroffen macht, zur Stellungnahme herausfordert und nicht einfach distanziert zur Kenntnis genommen werden kann. (Hans Küng, Jesus, 2012, S.13).
Jesu Handeln gäbe uns viele Impulse, um sich seiner Worte und Taten in Gemeinschaft zu erinnern.
„Hauskirchen“ aber auch Gemeinde/Gemeinschafts-Feiern in überschaubarer Größe könnten Wege dorthin sein.
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… danke für die Zusendung der Diskussionsbeiträge.
Ich bin immer wieder erstaunt und gleichzeitig traurig wie wenig die christliche Lehre bei den „Gläubigen“ bekannt ist und wie menschengemachte Dogmen auf einer Ebene wie die Lehren der Bibel behandelt werden.
• Transsubstitutionslehre und Auferstehungsgeschichte
Ersteres ist eine im Mittelalter entstandene Lehrmeinung, ohne jegliche biblische Basis. Die Auferstehung Jesu ist jedoch eine vielfach bezeugte Tatsache und für den christlichen Glauben umverhandelbar! 1Kor 15,17: „Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube nichtig“
Klingt logisch, oder?
- Pico della Mirandolawar der Kabbala und der mystischen Philosophie zugetan. Heute würden wir ihn als Esoteriker bezeichnen.
Er stellt den Menschen in den Mittelpunkt und nicht Gott/Christus.
- Zur Kritik an den Priestern(„Darsteller“, „hochstilisiert“)
1Tim 2,5: „Denn einer ist Gott, und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus“, Hebr 4,14: „Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten“. Dazwischen gibt es, braucht es nichts. Wir Christen sind Brüder und Schwestern untereinander und auch von Christus! Es bedarf keiner besonderen Kaste, die zu Gott vermittelt.
Und: wir Christen sind lt. Petr. 2,9 zur „königlichen Priesterschaft“ berufen. (und das schon seit Petrus‘ Zeiten und nicht erst seit Johannes Paul II)
Unser Fürsprecher ist Jesus Christus! (von Maria steht in diesem Zusammenhang übrigens kein Wort in der Schrift)
…“Erbärmliche Sonntagspflicht“ + andere Pflichten
Lk 11,46: „Er aber entgegnete: »Wehe auch euch Gesetzeslehrern! Denn ihr bürdet den Menschen schwer zu tragende Lasten auf, rührt aber selber die Lasten mit keinem Finger an.“
1Tim 4, 3: „Sie lehren, dass man nicht heiraten darf, und verbieten, bestimmte Speisen zu essen. Dabei hat doch Gott diese Speisen geschaffen, damit sie von denen, die an ihn glauben und die Wahrheit erkannt haben, mit Dank verzehrt werden.“
1Tim Kapitel 3,1-5: …“1 Das ist gewisslich wahr: Wenn jemand ein Bischofsamt erstrebt, begehrt er eine hohe Aufgabe. Ein Bischof aber soll untadelig sein, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen, würdig, gastfrei, geschickt im Lehren, kein Säufer, nicht gewalttätig, sondern gütig, nicht streitsüchtig, nicht geldgierig, einer, der seinem eigenen Haus gut vorsteht und gehorsame Kinder hat, in aller Ehrbarkeit. Denn wenn jemand seinem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie soll er für die Gemeinde Gottes sorgen?“
Kol 2, 20-23: „Wenn ihr mit Christus gestorben seid, seid ihr den kosmischen Mächten weggestorben. Warum tut ihr dann so, als ob ihr noch unter ihrer Herrschaft lebtet? Ihr lasst euch vorschreiben: »Dies sollst du nicht anfassen, das sollst du nicht kosten, jenes sollst du nicht berühren!« Alle diese Dinge sind doch zum Gebrauch und Verzehr bestimmt! Warum lasst ihr euch dann von Menschen darüber Vorschriften machen? Es sieht nur so aus, als ob diese selbst gewählte Verehrung, die Demutsübungen und die Kasteiung des Körpers Zeichen besonderer Weisheit seien. In Wirklichkeit bringt das alles uns Gott nicht näher, sondern dient nur der Befriedigung menschlicher Selbstsucht und Eitelkeit.“
Jetzt muss ich mich aber wieder einbremsen, ich will ja kein Homeschooling betreiben.
Aber es ist immer wieder erfrischend, wie logisch und vernünftig die Aussagen der Bibel sind und dazu noch eine klare Orientierung in den zeitgeistigen Verirrungen bietet.
Man muss die Schrift lediglich lesen und ernst nehmen.
Die Hirten verletzen ihre Pflicht, wenn sie ihre Schäflein nicht recht unterweisen, lehren und schulen.
Es darf daher nicht verwundern, dass die Gebete nur mehr ohne Überzeugung mitgemurmelt werden.
Dabei ist das Evangelium das großartigste Konzept, das uns Menschlein jemals angeboten wurde.
Wir befinden uns noch immer im „Gnadenjahr“ (Lk 4,18-19).
„Heute“ wird uns das Evangelium verkündet. (Hebr. 4,7)
Wer schlau ist, greift zu und nützt die einmalige Chance auf ein Weiterleben nach dem Tod!
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Was ist so schlimm in der Virtualität?
Für den sozialen „Bezug“ haben wir ja die von mir gehassten aber von der Mehrheit angebeteten und geliebten (a-)sozialen Medien ;-).
Da wird berichtet, beschimpft, selbstdargestellt, sie/er angebetet bis in die Intimität, alles echt oder gelogen – wer weiß.
Warum nicht auch das ganze Getue um einen Gott mit zugehörigem -dienst. Innerhalb der theistischen Religion wird erfunden, tradiert, missbraucht, gedroht – durch selbsternannte Erlauchte im Auftrag eines selbst definierten Wesens namens Gott. Virtueller Glaube?
Ein wichtiger „Impuls“ (im Sonntagsblatt 2019) aus dem Zukunfts(!)bild der Diözese von Mag. Barbara Rutter-Wrann, Pastoralassistentin in der Katholischen Hochschulgemeinde Graz:
„Wir haben uns daran gewöhnt, dass unsere Kirchen und Kapellen die „eigentlichen“ Versammlungsorte der Feiern unseres Glaubens sind. Und da ‚bespielen‘ wir meist nur den Hauptraum. Vergessenheit geraten sind Vor- und Nebenräume unserer Kirchen. Für manche Menschen reicht der Vorraum. Auch im übertragenen Sinn finden nicht alle im Hauptraum einen „Platz“. Weil sie vielleicht nicht getauft, aus der Kirche ausgetreten, geschieden und wiederverheiratet sind oder sich aus anderen Gründen nicht zugehörig fühlen. Für diese passt vielleicht ein Nebenraum, ein kurzes Ritual, eine niederschwellige Feier, ein Segenswort, ein Bibelwort… Herodes hat dem großen Tempel in Jerusalem einen sehr großen Vorplatz für die Heiden gebaut. Somit hatte jede und jeder die Möglichkeit, in die Nähe des Heiligtums zu kommen. Vielleicht ist unser Kirchplatz ein Vorraum zur Kirche, der auch zu einem Teil der Verkündigung wird, durch entsprechende Gestaltung, Bilder, Skulpturen, autofreie Zone, Platz für diverse Feiern. Es wird notwendig sein, ganz neue Orte für die Verkündigung und die Feier des Glaubens zu entwickeln, Kirche zu den Lebensorten der Menschen zu bringen“.
Eine Vorahnung für die jetzige Virtualität? Und im kleinen Kreis hinter temporär oder für immer geschlossenen Kirchentüren? Gleichsam als Covid-Party folgend einem Zitat aus einem Leserbrief im Sonntagsblatt. „Besser weg mit dem Textil, welches das Gespräch mit Gott behindert und die ungewaschenen Hände falten“. Zuhause geht das ja im kleinen Kreis nicht richtig. Schlimm ohne geweihten Herrn Priester. Soweit ich mich erinnere, wurden solche Privatengagierte angezeigt und dann zur Selbstexkommunizierung genötigt (oder haben die noch anderweitig gesündigt?).
Ich bin nun endgültig weg vom (Kirchen-)Fenster. Ich habe mir meinen Austritt lange überlegt, denn die Gründe waren durchaus vielfältig.
Ich deklariere mich wie schon so oft als Ausgestoßener des Jesusklubs. Ich bin geschieden und wiederverheiratet und meine Ehefrau eine ungetaufte genuine Buddhistin. Also was? „Niederschwellig feiern“? Am „Vorplatz für Heiden“? Da würde auch ‚virtuell‘ passen – wenn es mir nicht schon ohnehin völlig egal wäre.
***
II.
Karl Mittlinger
Einige „unfrisierte“ Gedanken zu den Diskussionsbeiträgen
- Das hochstilisierte Priesterbild
Unsere Kirche hat im Laufe der Kirchengeschichte die Kritik Jesu am jüdischen (und in den anderen antiken Religionen bestehenden) Priestertum missachtet und ist wider besseres Wissen zum Konzept des Opferpriesters zurückgekehrt, wohl auch deshalb, weil sie sonst im Römischen Reich nicht als „religio licita“ anerkannt worden wäre (und deshalb auch das Verbot der Fegefeuerintention bei Wortgottesdiensten, weil dabei ja kin „Opfer“ gebracht wird, um diese Frage aus zwei Beiträgen gleich zu beantworten). Das ist der Grund, wieso aus einem/einer Gemeindeleiter/in der „Hochwürdige Herr“ geworden ist. Der „Abschied von Hochwürden“ ist wohl auch ein Grund (neben der Zölibatsverpflichtung, die sich ja auch aus dem Sakralpriestertum ergibt) für die schwindende Attraktivität dieses „Standes“, eine „bloße“ Dienstfunktion am Volk Gottes ist ja nicht an ein Geschlecht gebunden.
- Virtuelle Gottesdienstpraxis höhlt den Sonntag aus.
Das Zuschauen (sagen wir halt auch, Mitfeiern) am Fernseher ist eine „bequeme Form des langsamen Auszuges aus dem Gemeindeleben, wie es in einem Beitrag heißt; der „Sonntagsruhe“ wird der Boden entzogen, es schwinden ja auch die sonntäglichen Rituale dieses besonderen Tages. Die Begegnung mit den anderen Gläubigen und das gemeinsame Mahl sind die zentralen Ereignisse des Gottesdienstes. Sie fallen aus. Hoffentlich haben wir das nicht vergessen, wenn die Pandemie vorbei ist, der Lockdown kann auch eine Einübung in eine neue Verhaltensweise sein.
- Bedenken bei Förderung der Hauskirche
In einigen Beiträgen wird bedacht, dass diese Form der Gottesdienste die Gefahr eines Klüngelwesens gegeben sein könnte, wie ja auch in einigen Gemeinschaften die Gottesdienste bei geschlossenen Kirchentüren gefeiert wurden, erzählt man sich.
Freundeskreise, Familienrunden seien da gefährdet. Wir haben eigene religiöse Praxis nie gelernt, sie wurde uns von den Priestern abgenommen und wir haben sie wohl auch gerne delegiert, so sind wir entmündigt im eigentlichen Sinn, wir bringen den Mund nicht auf. Es wäre an der Zeit, sie selbst wieder in die Hand zu nehmen.
- Der Abschied von der Volkskirche
wird in diesen Tagen manifest wie nie zuvor. Die Pandemie nimmt uns auch noch das Brauchtum und die Rituale, die noch immer die Tatsache kaschierte, dass das „Kirchenvolk“ zu einer kleinen Herde geschrumpft ist. Innerlich hat sich die Emigration aus dem christlichen Kosmos längst vollzogen, vielleicht war dieser Kosmos ohnehin nur in den Ritualen und Festen greifbar. Ohne moralisieren zu wollen, müsste doch ein „christlich geprägtes Land“ anders auf die großen Herausforderungen reagieren. Boatpeople, Moira, die Hand, die gierig und bedenkenlos die Impfdosen an sich rafft und der Süden schaut schon wieder durch die Finger, um nur Andeutungen zu machen.
- Die herrschenden Gottesbilder
verhindern sehr oft die Entwicklung einer erwachsenen Persönlichkeit, die sich aus der infantilen Abhängigkeit von einem Überich losgesagt hat. Das heißt aber nicht, dass die Anerkennung eines großen Ganzen, die Einbettung in einen Urgrund ausgeschlossen wird und ein „Sinn des Daseins“ angenommen wir, der in vielfältiger Weise in den großen Erzählungen der Menschheit in mythologischer Sprache seinen Ausdruck in den Religionen findet. In Israel hat sich ein Eingottglaube entwickelt, der durch den Einfluss griechischer und ägyptischer Philosophietraditionen eine humanistische Schneise in die antiken Religionen schlug und die Möglichkeit einer persönlichen Gottesbegegnung eröffnete. Diese Entwicklung lässt sich in den Schriften der Bibel gut verfolgen, das Jesusereignis stellt dabei eine Fulguration insofern dar, als die Menschen in der Jesusbegegung Gotteserfahrungen machten und ihn in der Folge als Sohn Gottes definierten. Die Gottesbilder aber waren in den Denk- und Sprachkategorien der Antike verhaftet und sind für uns heute der Anlass, diese unreflektiert übernommenen Bilder kritisch zu befragen.
Als Beispiel sei die Angst vor der Bestrafung (ich meine den Teufels- & Höllenglauben) genannt. Diese sind ein Abglanz der irdischen Machtstrukturen, die in den orientalischen Großreichen (man lese nach bei Martin Zimmermann „Gewalt – die dunkle Seite der Antike, DVA 2013) herrschten. Die Jenseitsvorstellungen sind eine Projektion des vorderasiatischen Gottkönigtums auf einen Gottkönig im Himmel, der die Feinde hemmungslos vernichtete. Die Jesuspredigt hob sich mit der Vorstellung von einem liebenden Vater radikal davon ab, durchgesetzt hat sie sich nur in Teilen, die „Bilder“ (Dantes „Divina Comedia“ war prägend für unsere Vorstellungswelt) sprechen eine deutliche Sprache. Die Anerkennung der Kirche im Römischen Reich hat das ihrige dazu beigetragen, dass die byzantinischen Sitten und Gebräuche prägend wurden.
Die ganze „schwarze Pädagogik“ durch die Jahrhunderte herauf, der Bestemm auf die allein selig machende katholische Kirche, das Wahrheitsmonopol und die strikt geforderte blinde Annahme aller Dogmen, die im Laufe der Jahrhunderte das „Haus voll Glorie“ zusammenhalten sollten, wurden aus diesen orientalischen Vorbildern geprägt, der „Gottesstaat“, den wir heute in islamischen Landen mit Kopfschütteln sich ausbreiten sehen, war lange Jahrhunderte hindurch das vorherrschende Paradigma unserer Kirche, machen wir uns nichts vor. Vielleicht ist das auch eine Wurzel für den innerlichen Widerstand gegen die „Übertragungen“ von Gottesdiensten im Fernsehen, das textile Gepränge in der Kleidung, das hochhehre Sprachgefunkel, die Demutsgebärden, Schuldbezeugungen und Beweihräucherungen, sie alle sind sowas von byzantinisch, der eigentliche Inhalt, die Jesusbegegnung im Verzehr von Brot und Wein tritt in den Hintergrund und fällt in Zeiten der Pandemie ganz aus.
Die „Gottesverehrung“ steht im Mittelpunkt und bleibt im täglichen Leben ohne Folgen. „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen / sein Herz ist aber weit weg von mir.“ (Mt 15,8)
Dieses größere Ganze, der tragende Urgrund, die universelle Verbundenheit, die Weisheit östlicher und westlicher Mystiker, das Bewusstsein, dass wir nur wie in einem Spiegel sehen, all das bricht in letzter Zeit ins Denken und Fühlen der Menschen ein, jenseits aller Religionsgrenzen bricht etwas Neues auf – seit dem Mann aus Nazaret sollte uns bewusst sein, dass immer wieder ein Paradigmenwechsel stattfinden kann.
Reformation, Aufklärung, Erklärung der Menschenrechte, Umweltbewegung und die vielen humanistischen Strömungen haben, getragen vor allem durch christliche Laien, aus jesuanischem Geist heraus Ansätze zur Veränderung dieser Welt geschaffen. Wollen wir hoffen, dass der Auszug aus den starren kirchlichen Strukturen (z.B. Haltung zum Frauenpriestertum) darauf zurück zu führen ist und nicht aus Bequemlichkeit passiert.
Mit der Frage der Gottesbilder ist kaum etwas über den tragenden Urgrund, der in der jüdisch-christlichen-islamischen Nomenklatur mit Gott (oder Göttin) umschrieben ist, gesagt. Es ist schwer, hinter die Gottesbilder zu schauen. Nach dem schönen Gedanken von den Glasfenstern von einer gotischen Kathedrale, durch die alle Religionen in Richtung der Sonne schauen, die aber niemand direkt sehen kann. Wir haben nur diese Bilder, die von Prophetinnen und Sehern, durch Träume und „Offenbarungen“ in den Heiligen Schriften überliefert sind. Menschenworte.
Und diese Religionen haben daraus ihre Glaubenssysteme entwickelt, beschrieben in den Gottesbildern, ein Zirkelschluss.
Aber wir kommen dadurch dem Kern der Sache näher, wir müssen uns auch heute auf die Suche machen, wie es die Menschen aller Zeiten gemacht haben und zu den unterschiedlichsten Ergebnissen gekommen sind. Ein sehr tragfähiger Ansatz das Bild von Gott als einer Person, zu der man in mystischer Form in Beziehung treten kann und der auf dieser Ebene antwortend erlebt wird.
Und hier enden diese Überlegungen, die Richtung zum Weiterdenken ist vorgezeichnet, aber hier ist nicht der Platz dafür. Und der Begriff der Virtualität hat wohl auch hier seine enorme Bedeutung.
(3. Februar 2021)
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„Jesus und die Ehebrecherin“
Auslegung des Evangeliums vom 5. Fastensonntag 2019 im Rahmen einer Wortgottesfeier in Unterrohr bei Hartberg, Stmk.
Joh 8, 1-11
Auslegung der Bibelstelle
Wir haben es schon so oft gehört: Jesus sagt zu den Pharisäern „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie“, auf die Ehebrecherin, die frisch beim Ehebruch ertappt wurde. Ertappt ohne den Mann? Den hat man laufen lassen. Vermutlich ist die „Sünderin“ nicht verheiratet, sie haben aneinander Gefallen gefunden und eins gab das andere und sie landeten im Bett. Das ist für den Mann ja kein Problem gewesen, Männer konnten sich auch in der Ehe einen Seitensprung oder eine zweite Frau leisten, die Sklavin oder die Magd waren ohnehin so etwas wie Freiwild, weil sie als persönlicher Besitz angesehen wurden, mit dem man tun konnte, was man wollte. Das Problem ergab sich für die Frau; wenn sie mit einem verheirateten Mann ins Bett ging, war für sie die Steinigung vorgesehen (wir kennen das nicht nur aus der Vergangenheit des Alten Testamentes, diese Praxis gilt in den fundamentalistischen islamischen Gottesstaaten noch heute, der Islam hat ja diese Gesetze praktisch wörtlich übernommen und nur der aufgeklärte europäische Islam (noch oft ist das nur ein Wunschdenken) hat sie, wie das aufgeklärte Judentum oder das aufgeklärte Christentum als weltliches Gesetz aufgehoben und in die Vergessenheit entlassen). Für den Mann war der Ehebruch seiner Frau vor allem deshalb ein Problem, weil ein dadurch entstehendes Kind, ein sogenanntes Kuckuckskind, von seinem Besitz erben konnte und er als einer dastand, dem man Hörner aufgesetzt hat, Treulosigkeit war weniger ein Motiv, weil Männer es ja mit der Treue auch nicht genau nahmen, es war die Besitzstörung, die der Frau angelastet wurde, nicht anders, als hätte ihm der Nachbar ein paar Schafe oder Rinder gestohlen.
Was macht Jesus? Zuerst gar nichts. Er lässt Raum fürs Nachdenken, er kritzelt im Sand und sagt dann den schon erwähnten Satz: Wer ohne Sünde ist, der werfe als erster einen Stein auf sie. Und kritzelt weiter im Sand. Den Männern wird langsam bewusst, was das für ein heuchlerischer Standpunkt ist, der nur die patriarchale Position bestärkt, nach der Männer alle Rechte haben und Frauen total rechtlos sind.
Die Wut, es der Frau zu zeigen, wer der Herr im Haus ist, weicht der Scham und der Stein in der Hand wird ihnen glühend heiß, sie lassen ihn fallen und gehen betreten weg.
Und Jesus richtet sich auf und sagt zu ihr, sie haben dich nicht verurteilt, ich tue es auch nicht. Tu das nicht wieder, auf dieser Basis lässt sich keine liebevolle Beziehung aufbauen.
Jesus zeigt ohne große Worte auf, dass durch die Ehe kein Besitzrecht auf die Frau entsteht, ohne die Schriftgelehrten und die Pharisäer direkt auf ihren heuchlerischen Standpunkt hinzuweisen, nach dem die Männerherrschaft von Gott komme, sagt ihnen Jesus, was Gott wirklich ist, er ein gerechter und barmherziger Gott.
Die anderen zu verurteilen ist leicht, vor allem die Frauen. Sie sind in dieser Gesellschaft die Schwachen.
Vielleicht nehmen wir uns an diesem Sonntag einmal ein wenig Zeit, darüber nachzudenken, wie schnell wir im Urteilen über die anderen sind, wie oft wir in der Versuchung sind, Steine aufzuheben und sie auf jene zu werfen, die in unseren Augen Sünder sind, oder Menschen, die selbst an ihrem Unglück schuld sind oder Menschen, die uns fremd sind, die wir nicht verstehen, die anders sind und uns Angst machen, so wie diese Frau die Männerwelt verunsichert hat in ihrem selbstgefälligen Beharren auf ihren Besitz und auf ihre „Rechte“.
© Karl Mittlinger 2019
Meine Gedanken am Schluss der Reihe „Gewalt in der Antike“ 2015/16 im Bildungshaus Mariatrost
Steven Pinker, Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit (Fischer TB 19229) S. 42:
„Nein, die Hinrichtung Jesu ist die Frohe Botschaft, ein notwendiger Schritt in einem höchst wundersamen historischen Ablauf. Indem Gott die Kreuzigung stattfinden ließ, tat er der Welt einen unermesslichen Gefallen. Obwohl er unendlich mächtig, mitfühlend und weise ist, konnte er sich keinen anderen Weg ausdenken, um die Menschheit vor der Bestrafung für ihre Sünden (und insbesondere für die Sünde, von einem Paar abzustammen, das ihm ungehorsam war) zu erlösen…Wenn die Menschen anerkennen, dass dieser sadistische Mord ein göttliches Gnadengeschenk war, können sie das ewige Leben erwerben. Und wenn sie die Logik in alledem nicht erkennen, wird ihr Fleisch für alle Ewigkeit in einem quälenden Feuer brennen…“
Hier schreibt einer, der von außen auf die christliche Lehre schaut und die möglichen theologiehistorischen Entwicklungen bewusst nicht näher anschaut, sondern es so liest, wie es tatsächlich gelesen werden kann. Wir Christen fühlen uns durch solch eine Lesart möglicherweise falsch verstanden oder missinterpretiert
Ich habe das bewusst so wörtlich zitiert, weil wir für diese schrecklichen Aussagen so selbstverständlich hinnehmen, es ist uns gar nicht mehr bewusst, welch grauenhafte Botschaften sie transportieren. Es nützt m.E. wenig so zu argumentieren, wie man es in der Theologie immer wieder hört, dass sich eben unsere gewaltverhaftete Welt darin widerspiegle und dass mit der Auferstehung ein Weg daraus gezeigt werden solle, dass Gott seinen Sohn eben nicht verlassen habe, sondern ihn vom Tode auferweckt habe. Das Einverständnis Gottes, um in dieser anthropomorphen Sprache zu bleiben, wird wenigstens stillschweigend vorausgesetzt, auch wenn das Motiv des Beleidigtsein Gottes wegen unserer Sünden weggelassen werden kann, das stammt vom mittelalterlichen Theologen Anselm von Canterbury und wird heute eher nicht mehr geschätzt.
Das in der Erlösungslehre vorgestellte Gottesbild widerspricht aber so diametral der Botschaft vom barmherzigen Vater, der ohne Gekränktheit oder erfüllt von Wiedergutmachungsforderungen auf seinen Sohn = auf die Menschen zugeht, der, um es in einer abgehobenen Sprache auszudrücken, die Sünden seines Sohnes längst weggeliebt hat und den Sohn dadurch befähigt hat, umzukehren. Genau deshalb ist der Geist Gottes in diesen Jesus von Nazaret am Jordan herabgekommen, genau deshalb ist er diese Botschaft geworden.
Und das ist, das wäre das Gegenbild gegen die Gewaltverhaftetheit der Antike (und unserer Gegenwart natürlich auch) gewesen, der liebende Gott, der wohl weit besser durch das wohl noch ältere Bild der Mutter mit dem Kind dargestellt werden könnte. Nicht umsonst heimelt es uns so an, dieses Bild der Isis mit dem Horusknaben auf dem Arm, das Urbild unserer Madonnendarstellungen.
In diesem Gottesbild hätte der Mensch Platz zu einer Umkehr, zur Veränderung, zu der er ohne durch Höllendrohung und Folter von sich aus aufbrechen könnte. Und wir könnten Gott dafür preisen, dass er uns diese Fähigkeit zur frei-willigen Umkehr, allein aus dem Gewissen heraus, in den Bereich unserer Möglichkeiten gelegt hat. Ein solches Gottesbild wäre aufregend neu und hätte etwas, das ein neues Licht auf uns Menschen werfen würde: es zu ersinnen, aus dem Fundus der jesuanischen Gedanken herauszuschälen. Paulus, Augustinus und Anselm von Canterbury haben die Erlösung mit Kreuz und Folter verbunden, nach dieser Lehre hat Gott seinen Sohn nicht geschont und erst durch die Auferstehung im Nachhinein wieder alles in Ordnung gebracht. Das ist ein schlüssiges Bild angesichts des Gewaltdenkens, in dem Folter und Tod ein notwendiges Druckmittel sind, um die Moral der Menschen aufrecht zu erhalten, wie es die Despoten der Antike vorexerziert haben, es kann aber für uns kein Heilmittel mehr sein, weil es Gott noch immer in der Rolle des antiken Potentanten belässt, dessen Wohl und dessen Ehre im Mittelpunkt steht. Der Vater, den Jesus zumindest in einigen Gleichnissen vor Augen hat, braucht das nicht, der steht sehnsüchtig am Hügel seines Anwesens und schaut in die Ferne, ob sein Sohn nicht bald zurückkommt. Und der kommt, aus eigenem Antrieb, weil er sich geliebt weiß. Trotz allem.
Wie weit wir davon weg sind, zeigen uns unsere gewaltverhafteten Bilder, die uns allüberall begleiten, die Kreuze und die Folterszenen der Kreuzwege, die sieben Schwerter, die die Madonna durchbohren, die Heiligendarstellungen mit allen grässlichen Details, Kirchen gleichen mittelalterlichen Schreckenskammern. Und wir sehen das nicht mehr, weil es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, ja selbst im Innersten, im Intimsten unserer Gottesbegegnung, in der Communio mit Gott kommen wir nicht ohne diese Metaphern vom hingeopferten Gottessohn aus. Gnade uns Gott, um in dieser Sprachwelt zu bleiben.
(16 .2. 2016)
Mit dem Programm Google-Earth und einer Zeitmaschine zoomt einer, der nicht müde wird, auch die andere Seite einer Münze zu betrachten, auf Palästina in den 30er-Jahren n. Chr.
Ein Mann wandert von Nazaret an den See Genesaret, er trifft in Magdala/Taricheä am Ausgang des Taubentales, Mirjam, die kluge Frau. Sie begleitet ihn nach Kapernaum
Und nach und nach, einzeln und in kleinen Gruppen schließen sich ihnen Fischer und Zöllner, Arbeitslose, begüterte Frauen, Sklavinnen und Prostituierte an
Wie aus dem Nichts ist er erschienen, herausgetreten aus dem Schatten des glutäugigen Untergangspropheten Jochanan
Es ist besser, sagt er, den Kopf hinzuhalten als Schläge auszuteilen
Es ist besser, arm zu sein als an seiner Gier zu ersticken
Es ist besser, barmherzig zu sein als den Nachbarn in den Schuldturm zu stecken
Der Mann bleibt stehen, um mit einem Bettler zu reden
er grüßt Blinde schon von weitem, damit sie wissen, mit wem sie es zu tun haben,
für die Aussätzigen hat er ein Brot in der Tasche
Der Mann ist ein Wanderprediger
Merkwürdiges gibt er von sich
er redet vom Ausreißen des Auges, bevor es zum Ärgernis verleitet
man solle die Toten ihre Toten begraben lassen
dem Kaiser geben was des Kaisers ist
er redet vom Ernstnehmen des Gesetzes
und vom Übertreten, wenn es den Menschen knechtet
von Feindesliebe und vom Hinhalten der Wange
den Tempelpriestern traut er nicht, sie schauen nur auf ihr eigenes Gerstl, sagt er,
die blutigen Opfer seien dem Gott ein Gräuel
der Gott wolle Barmherzigkeit und nicht Opfer
Du schaffst es, sagt er zu einem, der nicht mehr aus und ein weiß
schau auf, lass den Kopf nicht hängen zu einer, die blind in ihr Verderben rennt
steh auf du Faulpelz, sei nicht so wehleidig – oder so ähnlich halt
Die Leute rennen ihm nach
treten ihm die Türen ein
wie der einen anschaut
unerhört, wie der redet,
endlich einer, der es den Großkopferten hineinsagt,
einer, der uns versteht
einer, der uns ernst nimmt
ein Heros geht durch das Land meinen Griechen
ein Prophet, Elias ist wiedergekommen
das ist endlich der Messias, der die Römer verjagen wird
so reden Juden
Hosanna dem Sohne Davids jubeln sie
dann aber geht es ihm an den Kragen
die Priester hetzen die Römer auf
und diese machen kurzen Prozess
ans Kreuz mit ihm
foltern hämmern stechen ihm die Seele aus dem Leib
und in die Grube werfen ihn die Henkersknechte
von Fieberschauern geschüttelt
verlassen die letzten Getreuen den Galgenberg
Erscheinungen Halluzinationen Träume
jeder erlebt was anderes
vierzig Tage dauert das Außersichsein
es darf einfach nicht das Ende gewesen sein
eine spricht es aus: er lebt
ich hab ihn gesehen: er lebt
von Mund zu Mund
die Gerüchtewelle schwappt über
und dann hören die Visionen auf
aber der Infektionsherd sitzt tief drinnen
glühende Schauer Herzrasen
jedes Wort wird lebendig
weißt du noch
erinnerst du dich
die Blinden
die Tochter des Jairus
der Sklave des Hauptmanns
Zachäus
wie ein Vater ist der Gott
erinnerst du dich
er hat ihn als seinen Papa bezeichnet
die Liebe überwindet das Böse
Gott ist die Liebe
darauf einigen sie sich
als Kurzformel für ihre Predigten
überall im Land sind sie unterwegs
es werden immer mehr
die ganze Welt überfluten sie
ein Strahlen ging von ihm aus
ein Leuchten
die Frauen
die Sklaven
die kleinen Leute tragen
diese unerhörten Gedanken weiter
und es hörte nicht auf
der Mann wurde nicht vergessen
im Gegenteil
man hat ihn in den Himmel erhoben
an die Seite des Gottes gesetzt
weil sie spürten
worauf es ankommt
an ihm ist den Leuten der Knopf aufgegangen
urplötzlich wussten sie
es ist das Herz
und nicht der Verstand
mit dem Herzen muss man schauen
vom Zoom geht er in die Totale des Jetzt
aus der Traum
schau dir die Welt an
was haben sie aus den Anliegen des Wanderpredigers gemacht
wo du hinschaust
die Kirchengeschichte ein Albtraum
die Welt versinkt im Chaos
überall
Korruption Betrug Mobbing
oder muss der Blick doch noch einmal gewendet
und müssen die einzelnen ins Visier genommen werden?
hat sich nicht ein Lichterteppich über die Welt gebreitet
schau in die Palliativstationen
schau an die pflegenden Angehörigen
die freiwilligen HelferInnen überall an den Grenzen
die Kritischen, die auf gerechte Sprache achten
die UmweltaktivistInnen die sich um Nachhaltigkeit bemühen
die Konsumverweigernden wegen des Tierleids
schau sie an
alle die schwarze Pädagogik ablehnen
alle die Rassismus und Fremdenfeindlichkeit anprangern
alle die z. B. Esel, Ziegen und Schweine kaufen für die Menschen in Afrika
die Kranke besuchen und Trauernde trösten
die mitleiden und solidarisch sind
schau hin
die Welt ist nachweislich besser geworden
sag an
was meinst du?
steckt da nicht auch der Mann aus Nazaret dahinter?
Und dazu muss man nicht an Gott glauben
Ja, dazu muss man gar nicht an Gott glauben
Nachdenklich schließt er Google Earth.
Der Lichterteppich geht ihm nicht aus dem Sinn.
(15. 12. 2015; Erika Horn gewidmet (1918 – 2015)
Mein Glaube ist Vertrauen.
Ich kann nicht glauben, dass Gott seinen Sohn wegen unserer Sünden am Kreuz hat sterben lassen, ihn für uns hingeopfert hat. So ein Gottesbild fußt auf einer feudalen Gesellschaftsordnung: da der Gottkönig, dort alle anderen, die ihm zu Füßen liegen – wehe, einer von den Untertanen wagt es, den „Allmächtigen“ zu beleidigen, er kann nur durch seinesgleichen versöhnt werden, z.B. durch seinen Sohn, wie dies der Kirchenlehrer Anselm von Canterbury so folgenreich entwickelt hat
So, jetzt ist es heraußen, mein – und nicht nur mein – Unbehagen über ein weithin verbreitetes Gottesbild muss erst zur Sprache kommen, bevor ich von meinem Glauben reden kann.
Ergänzen will ich, dass ich alle Artikel des Glaubensbekenntnisses mitbeten kann, weil ich diese Sätze als Teile eines mythischen Weltbildes sehe, das ich gut akzeptieren kann, weil ich ja kein geschichtsloser Mensch bin. Es sind Aussagen, die mir von weit her an die Ohren dringen, mit meinem Leben etwas zu tun haben, weil ich in dieser religiösen Welt groß geworden bin. (Unter Mythos verstehe ich alle Aussagen, die Gott in menschlichen Bildern und Begriffen schildern, z.B. dass er einen Sohn hat, dass er wie ein Mensch denkt, dass er beleidigt sein kann oder ein unersättliches Bedürfnis nach Gelobtwerden hat. Ein Mythos versucht zu erklären, was sich zwischen Himmel und Erde ereignet.)
Mein Anliegen ist es, Gott vor den Bildern zu „retten“, die es heutigen Menschen oft verunmöglichen, an Gott zu glauben. Denn was Gott wirklich ist und bedeutet, ist uns unmöglich zu sagen, mit jeder Aussage über ihn sperren wir Gott in unseren Denkkäfig ein und machen aus Gott einen uns zur Verfügung stehenden Götzen.
Nach diesen – nur angedeuteten – Feststellungen muss ich endlich meinen Glauben auf den Punkt bringen: Der Mann aus Nazaret, der von Gott ergriffene Wanderprediger hat für mich in seinem Gleichnis vom barmherzigen Vater (herkömmlich das Gleichnis vom verlorenen Sohn, Lk 15, 11-32) die Welt verändernde Botschaft verkündet: Gott ist wie ein Vater, der sehnsüchtig auf seinen Sohn wartet, der in die Welt hinaus gezogen ist, sich dort zu verwirklichen suchte, gescheitert ist und nun heimkehrt, das Erbteil ist den Bach hinunter, nach menschlichem Ermessen wird es Hiebe setzen, er macht sich auf Demütigung und ein langwieriges Entschuldungsverfahren gefasst. Nichts davon. Es gibt ein Freudenfest, ein himmlisches Gastmahl.
An den Gott, der in diesem Bild ausgedrückt ist, glaube ich mit Herz, Mund und Händen, an den Gott, der Liebe ist. Dass diese Liebe die Welt zum Guten verändern kann, das ist Jesu Botschaft. Wenn wir uns darauf einlassen, werden wir Himmel erleben, hier und jenseits des Horizonts, aber wie das sein wird, wissen wir nicht. Es steht uns gut an, nicht alles zu wissen, auch nicht über den Sinn des Kreuzestodes Jesu. Glaubend hänge ich an den Lippen des Menschensohnes. Mein Glaube ist Vertrauen in die Kraft der göttlichen Liebe, die in allen Menschen guten Willens am Werk ist.
(14. April 2012)
Die Bibel macht mir zunehmend Probleme. Es gibt kaum eine Stelle – auch im Neuen Testament – die nicht im Laufe der Tradition so überformt wurde, dass der ursprüngliche Sinn völlig verändert wurde. Dazu kommt die ständige „schwarze Pädagogik“, die mit fürchterlichen Strafen, im NT vor allem im Jenseits, droht und so die Menschen bei der Stange halten will, weil die Priester die Macht über die Sündenvergebung an sich gezogen haben.
Aber besonders die Hinrichtung Jesu, dass Jesus für unsere Sünden gestorben sei, dass Gott seinen eigenen Sohn nicht geschont habe, um uns von unseren Sünden zu erlösen macht mir Probleme. Da steckt ein fürchterliches Gottesbild dahinter! Ich verstehe schon, dass die ersten Christinnen und Christen mit dem Fluchtod am Kreuz nichts anfangen konnten und nach einer Deutung suchten. Dass dann die Erbsündenlehre entwickelt wurde um eine Begründung für die Sündenverfallenheit der Menschen zu haben, das ist für mich ein Sündenfall, der bis heute schreckliche Folgen gezeitigt hat.
Völlig in den Hintergrund tritt dadurch die eigentliche „Erlösung“, die Jesus mit dem Gleichnis vom barmherzigen Vater gegeben hat: Gott ist nicht der opfergierige Patriarch, der seine Kinder klein hält, damit seine größe umso deutlicher erscheint, Gott ist kein Blockwart, der jedes kleine Delikt sofort ahndet. Das ist die jesuanische Botschaft schlechthin, auch wenn Jesus selbst als Kind seiner Zeit immer wieder in die schwarze Pädagogik verfällt und von der Urkirche als der Richter an die Seite Gottes gesetzt wird.
(2011)
Für mich gibt es Meilensteine in meinem religiösen und theologischen Leben, dazu gehören Begegnungen mit Menschen (ich denke an die Sommerwoche zum „Vaterunser“ im Bildungshaus Mariatrost mit Bruder David Steindl-Rast, an die christlich-jüdischen Bibelwochen, an die theologischen Tagungen mit Georg Baudler, Manfred Görg, ich denke an Dorothee Sölle, an Peter Trummer u.v.a.) und wichtige Bücher. Ich bin ein Büchermensch und kann mich – bis zur Unkenntlichkeit unterstreichend und Notizen machend, in ein Buch versenken. Zumeist bleiben mir nur ganz wenige konkrete Aussagen im Gedächtnis, ich sehe mich auf einem riesigen Strom getragen und geleitet, auch wenn die Menschen, Kathedralen und Städte nur undeutlich in Erinnerung bleiben, ich will mich nirgends auf Dauer einrichten, zu sehr bewegen mich neue Erkenntnisse, zu sehr bin ich unterwegs. Wohin die Reise geht, weiß ich nicht, ob am Ende meines Lebens eine liebende Gottheit, die mich in die Arme nimmt, oder die ewige Ruhe steht (die christliche Begräbnisliturgie redet ja ganz ungeniert von der ewigen Ruhe als Wunsch für die Verstorbenen, das fällt scheint es, niemandem auf…), ich bin offen für beide Optionen, andere gibt es ja nicht.
Von der Lektüre des Buches von Klaus-Peter Jörns „Notwendige Abschiede – Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum“(Gütersloher Verlagshaus 2006, inzwischen in 5. Aufl. erschienen) möchte ich in einigen Schritten berichten. Mir war Jörns schon durch das Buch „Glaubwürdig von Gott reden“ (2009, Radius-Verlag) bekannt, es war gleichsam die Hinführung auf dieses Werk.
Jörns ist evangelischer Theologe (*1939), zuletzt Professor für praktische Theologie und Leiter des Instituts für Religionssoziologie in Berlin. Will man das Werk in wenigen Worten vorstellen, so geht es darin z. B. um die These, dass alle Religionen Anteil an der Offenbarung Gottes haben und das Christentum (auch nicht das Judentum und der Islam) darin keine Sonderstellung einnimmt. Wenn en Gott als Schöpfer des ganzen Kosmos geglaubt wird, dann sind alle Religionen von Gott gewollt und stellen authentische Heilswege dar. Es geht also um den Abschied von der Sonderstellung des Christentums. Es geht auch um den Abschied von der Vorstellung, dass die Bibel ein einheitliches Werk sei und die Offenbarung mit ihr abgeschlossen sei. Die Bibel ist eine Sammlung höchst pluraler Gotteserfahrungen und zeigt eher die Wege und Irrwege auf, die das Volk Israel und das Christentum gegangen sind. Ein wichtiges Anliegen ist Jörns der Gesamtzusammenhang der Schöpfung, in der der Mensch sich die Krone aufgesetzt hat und die Mitgeschöpfe unterdrückt. Dieses Plädoyer für Tiere als geistbegabte Wesen eröffnet ein weites Feld im Hinblick auf unsere Essgewohnheiten. Schließlich geht es Jörns um den Abschied von einer Sühneopfertheologie, das ist wohl sein Hauptanliegen. Angefangen von einer unheilvollen Erbsündenlehre (die Menschen waren von Anfang an so, wie sie auch heute sind und „es war gut so“) gipfeln die Missverständnisse in der Interpretation der Hinrichtung Jesu als ein von Gott gewolltes Menschenopfer, das Gott in den Strudel menschlicher Gewalt hineinzieht. „Gott ist Liebe“ – das ist die „erlösende“ Botschaft und das Gleichnis vom barmherzigen Vater ist das neue Paradigma dazu. Das Kreuz als christliches Symbol kann für die Bereitschaft stehen, die Liebe Gottes auch durch den radikalen Verzicht auf Gewalt und die Fähigkeit, dafür zu leiden, zu bezeugen (356).