neue … und ältere gedichte

 

Inhalt:

neue gedichte

  • tears in heaven
  • der tod und das mädchen
  • einmal gott sein
  • Mythos
  • Anti-Mythos
  • Gott
  • paradise lost
  • tabula rasa
  • Von fern
  • messe für kontrabass

und einige ältere

  • kalender für alle fälle
  • griechische wege
  • karls r. käppchen
  • unter dem eis überleben die fische (auswahl)
  • sprachzeiten


neue gedichte

tears in heaven


ich beschuldige dich nicht
du rätselhafter
ich schiebe den tod
nicht dir in die schuhe
meine alten gottesbilder
habe ich längst zerstört
meine trauer hat teil
am leid der welt
meine tochter
ist tot
und lebt weiter
in allen die sie lieben
ich glaube
du bist dabei

(©karl mittlinger 28.5.2019)

***

der tod und das mädchen

es ist das verstummen

keine aufgeregten folgetonhörner

kein lärm kein hupen

keine quietschenden reifen

im inneren

irgendwo von weit her

weht der wind celloklänge

eine suite von bach

die gräser und blumen

halten den atem an

zögern mit dem wachsen

erinnerungen verblassen

berührungen küsse

umarmungen

atem auf der haut

ungelenk herumstehen

rückzug ins eigene

jahrhunderte stürzen

ins vergessen werden gelöscht

sich schuldig bleiben

pest und cholera pocken

typhus spanische grippe

und sars covid19

sanct corona

beschütze uns

selig alle die hoffen

es sind die vogelrufe

der frühling

lässt sich nicht aufhalten

auferstehen oder wiederkommen

an beides

kann man glauben

und wer nicht glaubt

hört die vögel dennoch

& das knistern der flammen

bei einfallender dunkelheit

gib deine hand, du schön und zart gebild!

bin freund und komme nicht zu strafen:

sei gutes muts! ich bin nicht wild

sollst sanft in meinen armen schlafen

                                                (matthias claudius)

übrigens hast du

unsere tochter im sterben

sanft in deine hände gebettet

dass sie sich vertrauenvoll

bei dir bergen

ruhig ausatmen konnte

das ist meine frage

nach vielen monaten

des schweigens

keine anschuldigung kein hadern

in mir klingt

vater, in deine hände

lege ich meinen geist (lk 23)

wenn der sommer

dann wirklich gekommen ist

sitzt du im schatten

hörst den vögeln zu

das summen der bienen

kehrt die mittägliche ruhe ein

das grillenzirpen

keine pandemie mehr

keine fallzahlen und inzidenzien

du kannst aufatmen

die welt wurde neu erfunden

oder bröckelt stein um stein

füllen sich die meere

bis an den rand fluten über

müssen wir eine arche bauen

die uns in neue welten bringt

mit anderen sonnen

wirst du dann wieder da sein?

einmal gott sein

etsi deus non daretur
auch wenn es gott nicht gäbe

(nach hugo grotius)
1
gott
eine hilfskonstruktion
zum menschwerden
um die angst
vor dem tod los zu werden
in die augen will ich ihm schauen
komm lieber tod
da ist meine gurgel
schnür den sack zu

2
lieber tod
lieber gott
will ich rufen ungehört unerhört
verhallen meine worte
ich bin allein
beim lesen der letzten seite
wird mir das buch zugeschlagen

3
den strafenden gott
gibt es nicht
den eifersüchtigen gott
gibt es nicht
den religionsgott
gibt es nicht
den gott
der seinen sohn
zu unserer erlösung
hinrichten lässt
gibt es nicht
den gott
der uns zu seinem zeitvertreib
zu seiner ergötzung
erschaffen hat
gibt es nicht

4
einen gott der existiert
gibt es nicht
sagt dietrich bonhoeffer
gott ist denkbar
aber einen denkbaren gott
gibt es nicht
das wort gott
allerdings existiert
gott göttin ein oder viele
geschmacksfragen

6
erkennen
dass es besser ist
zu lieben als zu hassen
gutes zu tun statt böses
zu verzeihen als zu rächen
auch wenn es gott nicht gäbe
aber wenn es nicht aus uns kommt
ist es nutzlos sogar von übel

7
den kosmos durcheilt mein geist
bis er müde wird
rote riesen weiße zwerge
auch sterne müssen sterben
ein gott müsste man sein
um all das bestaunen zu können
und erst die menschen
schwarze löcher
verschlingen alles

8
der blick nach innen
leid und ekstase
sinnlichkeit und schmerz
amedeo modigliani
verschwendet sein leben
für die idee mensch
& jeanne hebuterne
folgt ihm in den tod

9
der abenteuer der ahnungen
sind so viele
die leerstellen
auf dem globus füllen sich
hic sunt dracones
: die shoa :
die twin towers werden gefällt
satelliten umkreisen
den planeten sehen dich
deine daten
verewigt in der cloud
gottes auge ist dagegen
nur ein schöner mythos
religionen aber existieren
unausrottbar in den köpfen

10
suche nach gewissheit
nach meinem selbst
siddhartha gautama
starb lächelnd
& dennoch
zweifel
& dennoch
hoffnung
wer bin ich
wenn er sie es
doch ist

Mythos

 

Apoll verfolgt

Götter kennen kein Pardon

die jungfräuliche

Daphne sucht in

erstarrender Verholzung

ihr Heil

Zeus als

Schwan Goldregen Stier etc.

verführt

& schwängert

Niobe Io Danae Leda

Aigina Kallisto etc.

das blutjunge Mädchen aus Nazaret

hatte noch keinen Mann

im Bett

als sie ein Engel höflich fragt

ob es sich mit Gott

einlassen wolle

Anti-Mythos

Marias Verlobter

lässt die schwangere

Mädchenfrau

nicht sitzen

dass Gott die Hand

im Spiel hatte

will er glauben

Hut ab

vor Josef

der Sohn

konnte mit Josef

nicht viel anfangen

er strebte

nach Höherem

irgend etwas stimmt nicht

in dieser Familie

(Jänner 2014)

 

Gott

Ich halte mich

so lange ich es brauche

an dich

als Sinnkonstrukt

als Mikrophon

in das ich meinen Dank

für mein Leben spreche

als Toprope-Sicherung

bis ich frei klettern kann

einmal sollte es mir gelingen

– zu deiner Freude

paradise lost

1

es wird nicht mehr

meine welt sein

erde bedeckt mich

ein besuchspunkt mein grab

im alphabet der lebenden

bloß eine lücke

requiescat in pace

mich kann niemand mehr

zur verantwortung ziehen

wegen hoher cäsiumwerte

ich war gegen atomkraftwerke

habe aber auf großem fuß

in einer heilen welt gelebt

und viel energie verbraucht

mir so viel leisten können

in meinem bonsaigarten

des kleinen glücks

knarrende geigerzähler

katastrophenalarm

bombenangriffe

blieben mir erspart

es wird abend und morgen

sommer kommen und gehen

bis die natur sich erschöpft

burnout

2

das wird nicht mehr

meine welt sein

ich bin geflüchtet

stelle mich tot

lasse mich fallen

bleibe liegen

irgendwo

unendlich lang

zerfalle in moleküle

gesäuberte bündel

ohne schuld und erinnerung

die wieder gebraucht werden

in künftigen zeiten

zum aufbau neuer

komplexer strukturen

mit bewusstseinsoption

und es wird wieder beginnen

das sehnen und fürchten

das anklopfen und aushorchen

das versteckspiel mit dem risiko

nie gefunden zu werden

tabula rasa

den schlussstrich ziehen

gleich am anfang

es ist nichts

außerhalb unserer welt

alles ist erträumt

erfunden und ersponnen

gott ist eine kopfgeburt

(ephräm der syrer vermutet

gott sei uns zu ohren gekommen)

das bauchweh

kommt vom herzen

(4märz011)

Von fern

Von fern

aus derTiefe

in der Herzgrube

ein leiser Ton

ein Hauch

eine Anmutung

innehalten

eine Ahnung

Herzrhythmuswechsel

weil das Wort Hoffnung

existiert

weil das Unmögliche sagbar ist

Es ist nicht ausgemacht

dass der Tod das letzte Wort hat

weil es sinnvoll ist

zu flüstern

Himmel auf Erden

kein lautes Getön

kein Sieger führt die Scharen

kein Triumphgeheul

messe für kontrabass

(inspiration: peter n. gruber )

in dieser nacht

der unkenrufe

der wahrheit stand halten

introitus

einzug der ministranten

es sind die priester

ab handen

in dieser nacht

still still still

(weil der lechner spielen will)

kyrie

im ostinato

wissen wir nicht mehr

was gilt in diesen zeiten

hoffnungslos

rien ne va plus

wir sind am ende

die angst greift

gnadenlos

an die gurgel

was es wiegt

das hat es

erbarmungslos

pardon nicht gegeben

der preußen gott

lebt in uns weiter

in dieser nacht

wird die erinnerung

zur tretmine

wir

werden

weiter marschieren

in dieser nacht

ist die wahrheit

ein rosa winkel

ich habe gesündigt

in gedanken

worten und werken

hasenöhrl

mit gipfelkreuz

sei dein name

oder gantenbein

rufe ich

aus der tiefe

aber dort ist

niemand

kyrie eleison

elend und not

die großen wörter

nieder treten

ausreißen

ins feuer werfen

am karsamstag

wenn

brauchtumsfeuer

erlaubt sind

gloria

wer tastet mich an

wer leugnet meine größe

wer ist wie ich

göttin

sei gepriesen

kosmische kraft

sei gepriesen

tiefe der tiefe

du

sei gepriesen

mein ich

das dich schafft

du der du

am kreuz verreckst

nie verklingender ton

sei gepriesen

du hauch

von frühling

das sonder angebet

vom tage

lasset uns beten

lesung und evangelium

weil wir brüder sind

empfehlen sich

die schwestern

37 sekunden

leerrille

das ist kein fehler

die heiligen worte

werden heute

verschwiegen

weihrauch

akolythen

und das evangeliar

großmächtig

die letzte trumpfkarte

aufs holz geknallt

die kleinen mädchen

die herzigen buben

und der raue diakon

als kaiser

rotbart lobesam

ins heilige land

gezogen kam

in jener zeit

zu sharon und arafat

gegentod fideldum

himmelmutter und faun

und der kontrabass

fiedeldum fideldum

die zeit ist um

die zeit ist um

fideldum

dumdumdum

und um

predigt

in dieser nacht

hat die wahrheit

sich erhängt

erwürgte sich

in den verwirrenden fäden

der umsponnenen tatbestände

in dieser nacht

sei du mir schirm

und wacht

credo

glauben und glauben lassen

wer fürchtet sich

vorm schwarzen mann

die teufel

tragen heute

ihre hörner innen

in der nacht der nächte

fallen sternschnuppen

verglühen ideale

die heißen umarmungen

et incarnatus est

in falschen betten

aber nein

aus den himmeln

steigt herab

holt sich aus der gosse

nicht

aus den palästen

wer nur

den lieben gott

lässt walten

und so weiter

so weit ich

denken kann

denke ich

gott

so weit ich

denken kann

nizäno-

konstantinopolitanisch

aber nieder knien

will ich

nicht mehr

byzantinisches

hofzeremoniell

verachte ich

gott denke ich

gott ist keine

gottesanbeterin

letzten endes

kommt heraus

er ist wie wir

durch uns

und

mit uns

seine sehnsucht

reißt

die himmel auf

in nazaret

und anderswo

sind engel unterwegs

es nistet sich ein

das kind

kosmischer hochzeiten

blutig endet

erkenntnis

am ende

fürbitten

eine straße bauen

von timbuktu

nach kiruna

ein kinderspiel

von jericho

nach jerusalem

ist eine herausforderung

das kidrontal ist

einen steinwurf breit

lasset uns

einen turm bauen

bis in den himmel

der nicht im

ground zero

endet

dass wir dich

aus den augen verlieren

bitten wir

dass wir

dich vergessen

bitten wir

dass wir

dich überhören

bitten wir

lasst uns

alle dateien

löschen

dich

von den wänden

kratzen

eilen wir

zu den therapeuten

erlöst uns

von allem übel

nicht fernerhin

verelende uns gott

gabenbereitung

weit weit weit

strecke ich

meine hände aus

in dieser nacht

fällt die erinnerung

der amnesie zum opfer

mit leeren händen

preise ich dich

mein leben

präfation

einleitend

wird wahrheit

beteuert

menschen würde

minus

anfang und ende

an den grenzen

wachen

argusaugen

die schleier

so will es das gesetz

müssen fallen

das köpferollen

beginnt

in den köpfen

bereitet

dem herrn

den weg

odysseus und kirke

daphnis und chloe

amor und psyche

paarweise

die einsamkeit

austreiben

ein klagelied

lasst uns anstimmen

über diese nacht

sanctus

als der mann

die frau küsste

schuppten seine augen

liebe

ist ein nichts

das alles werden will

ach dass ich dich

so spät erkannte

du hochgelobte

in jener nacht

wurde die erinnerung

amnestiert

hochgebet

in der sorge

um den rechten glauben

werden linkshänder diskriminiert

pain and pleasure

aus der tiefe

steigen nebel

wandlung

brot kann

nicht mehr unbefangen

gegessen werden

der mensch

ist gottes

nährboden

in ihm west

kommt er

ans licht

mit haut und haar

den menschen

ausgeliefert

gejätet ausgerissen

gedeiht nichts anderes

verkarstet

in den seelenlöchern

hausen

fledermäuse

blutsauger sind wir

untotes

nächtliches gesindel

dreschen wir auf

den tintenfisch ein

waschen ihn aus

hängen ihn

zum trocknen

auf den baum

christus vincit

regnat imperat

christus triumphat

müsste

vor dem herren

schamrot werden

in die unterste unterwelt

in die kellerverliese

hat er sich verschloffen

um ihn zu finden

müssten wir uns

tief beugen

tiefer als

je ein mensch

sich gebeugt hat

ergeben hat er sich

das kesseltreiben

hat ein ende

ausgeliefert

unseren phantasien

eine null vor dem komma

loserpoesie

trash

sonder müll

vater unser

auf den zehenspitzen

meiner sehnsucht

balanziere ich

halte ausschau

nach dir

mein gott

tauche in die ozeane

suche den leviathan

mit dem du spieltest

im österlichen zeitfenster

berechne ich die flugbahnen

möglicher himmelfahrten

grabe mich

durch verschüttete zugänge

in mein herz

der mund

ist mir verklebt

die kehle eingetrocknet

ich bettle

um den erlösenden

luftröhrenschnitt

der mich

vor dem ersticken

rettet

friedensgruß

händeschütteln

verhindert erfolgreich

umarmen

agnus dei

fesseln

messer wetzen

beile schwingen

trainingsziel

göttliches

wohlgefallen

fleisch hauen

schächten

schlachten

opfer

verlangen

opfer

seht

der gaukler gottes

tanzt nicht mehr

ein kreuzschatten

fällt

über die welt

kommunion

von meinem brot

darfst du

nicht essen

wer seine seele

knechtet

wird gewürdigt

bettler werden

mit ein paar münzen

abgespeist

ach wie gut

dass niemand weiß

von dieser nacht

was bleibt

ist ein schaler

nachtgeschmack

segen

mögest du

unseren umkreisungen

gewogen sein

auf den dunklen seiten

keine sternschnuppe

kein verglühter stern

uns erschlagen

mögen die computer

richtig rechnen

und die sonnensegel

sich entfalten

die luft zum atmen reichen

kümmere dich bitte

um diese kleinigkeiten

da draußen

zwar können wir

uns schon

selbst hinausschießen

übers ziel

aber retten

nicht

schluss

mit wehenden fahnen

den himmel in den händen

bei allen wettern

ohne esel geraten

prozessionen leicht

zu demonstrationen

im morgendämmer

verkriechen sich

nächtliche phantasmen

mit kreuzstichen

nähen wir unentwegt

an unserem leichentuch

früher konnten sie nicht aufhören

mit dem flehen und danken

heute ist alles endenwollend

… und einige ältere 

kalender für alle fälle

jänner

auch heuer wieder

silvesterraketen

sekt

sternsinger

verdeckt

im kartenstapel

vielleicht

irgendwo ein joker

feber

das zottelfell

meiner verkleidungen

trage ich

innen

die männer beginnen

den frieden zu hassen

märz

die verheißungen

hören nicht auf

im zeichen

der fische

april

schwanger

mit sommer

und stürmischen

zwischenspielen

die männer ziehen

in den krieg

mai

lauf mir nicht

über den weg

mädchenfrau

ich weiß nicht

ob wir diesmal

ungeschoren

davonkämen

juni

die schöne schäferin

wiegt ihr kindlein

städte werden belagert

in den schützengräben

bellen die gewehre

juli

hoch zeit

der mut zum weiten weg

im schatten

rasten die hirten

stilles einverständnis

der engel

august

auf den gipfeln

neigt sich unmerklich

jeder abstieg

abschied und sterben

das jahr

september

spürt

versäumten

gelegenheiten nach

die schwermut

nicht eingelöster

versprechen

oktober

ein gruppenbild

ein buntes bilderbuch

ein lächeln

behalt mich lieb

november

kathrein

stellt den tanz ein

die friedensverhandlungen

beginnen

dezember

die hirten

werden fromm

neigen ihre knie

jedes grab

wird zur krippe

(1994)

 griechische wege

(1)

du fragst warum ich

ariadne medea

harmonia kirke

so zufrieden mit dir

theseus jason

kadmos odysseus

zusammenleben kann

ich mag dich

metis themis eurynome

demeter leto dione

maia alkmene semele

danae leda antiope

taygete aigina kallisto

und hera hera hera

weil du klug

und zärtlich bist

(2)

mein griechenland

ist schwer

zu entziffern

zweiseitig beschrieben

durch dünndruckpapier

scheinen die buchstaben

worte kann ich noch lesen

aber nicht mehr aussprechen

die alten göttinnen

erobert sich zeus

lockt sie

in seinen olymp

maria margareta

magdalena sophia

funkeln für mich

am firmament

(3)

über die berge

wandert

die myrthenbekränzte

zu anchises dem hirten

laß es abend werden

in der nacht

darf ich dich hoffen

wange an wange

leise

auf zehenspitzen wohl

hast du mich verlassen

das leere bett am morgen

(4)

ins wasser

kehren wir zurück

zu den tanzenden

spielenden meermenschen

ad usum delphini

erzähle ich dir

eine jugendfreie

geschichte

mit unseren leibern

flechten wir

bänder

verstricken uns

unsere geschwister

aus dem paradies

delphine leben

was wir uns verbieten

(5)

sandalenlösende nike

geflügeltes weibchen

dir erblühen

jugendliche brüste

du summst

für mich sto perigiali

im plattengeschäft

deshalb mag ich dich

du klammerst dich

an mich

weil der held in mir

die insel erobert

mit den wegen

verwachsen

die geschichten

der götter

im gestrüpp unter dornen

der gesang im feuerofen

todesahnungen

keine angst hab vertrauen

(6)

aus der anderen welt

schauen die heiligen

ikonen

unserer strengen träume

ariadne indessen

sitzt an der bar

mit viel wasser

mag sie den ouzo

auf der heiligen straße

pilgern wir

zu hera zu maria

kindlich fromm

mauerreste bruchstücke

geborstene säulen

unerträglich

wäre das unversehrte

(7)

an bord des schiffes

auswendig lernen

wo aber gefahr ist wächst

das rettende auch

die dornen

der nachtblühenden

reißen telekinetisch

ein herz auf

durch alle tore

stürmen

mit gesenkten hörnern

stiere

vor einem kafenion

mit den männern sitzen

jede vorbeigehende

könnte es sein

wer wird als frau

denn schon geboren

man wird zur frau

doch erst gemacht

(8)

meine mauern

hast du zertrümmert

wehrlos

liege ich vor dir

du zeigst mir immer

daß es möglich ist

ganz frau und

trotzdem frei zu sein

salzverkrustet

wache ich auf

reibe mir die augen

wo bin ich gelandet

nausikaa

wirft den ball

nackt

stehe ich vor ihr

beschwerlich

sind die wege

zurück

in die heimat

(9)

in trümmern liegt

aber in den höhlen

flüstern mir nymphen

ein ganzer glaube

der poet in mir

denkt psyche

zu eros

ist kein christ

spielball bin ich

wenn aphrodite

und hera streiten

ihrer wünsche

(10)

der tod

wird nicht mehr sein

schreibt der alte

in der grotte

tröstliches

verheißt er

was früher war

ist vergangen

der nonne auf dem berg

bist du willkommen

alle wege

enden in der kirche

unter dem kreuz aber

schau genau hin

stehen clotho

lachesis und atropos

(11)

mein herz

ein schmetterling

zittert

in der schmerzkälte

ich erhoffe nichts

mein leib

zerschnitten

durchwühlt

ich fürchte nichts

der geflügelte

geleitet mich

über die abgründe

ich bin frei

spiel mir

das adagio KV 622

ich werde geborgen sein

(12)

ins abendrot

segelt kassandra

aminte liegt

hinter mykene

auch du

blickst

der sonne nach

in die ewigkeit

und ersinnst

für ödipus

was ist der mensch

ein neues rätsel

Zitate: G.Seferis, A. Heller, F. Hölderlin, Apokalypse d. Johannes, N. Kazantsakis.

(1992)

karla r. käppchen

 

es war gottseidank nur ein alptraum

in dem ich meine erste regel bekommen hatte

die mutter war besorgt

wie alle mütter

seit ihnen im paradies schürzchen gefertigt worden waren

haben sie nichts anderes im kopf

als um das darunter verborgene

das knospende der töchter besorgt zu sein

kuchen und wein

träumte mir hätte ich geantwortet

als er mich fragte was ich da so im körbchen hätte

dabei war ich nicht ganz ehrlich

nicht einmal im traum gelingt es mir

lass die flasche nicht fallen hatte die mutter gemahnt

aber von meinem roten mützchen hatte er wohl nichts geahnt

sondern sich insgeheim gedacht

er könne aus der flasche köstlichen wein schlürfen

wie lieb er mir die plätze mit den schönsten blumen beschrieb

und von der vögel fröhlichem gesang zwitscherte

er will mich pflücken dachte ich mir insgeheim

und bin nicht einmal rot geworden bei dieser vorstellung

aber als er sich trollte war ich enttäuscht

und habe einem gänseblümchen die blütenblätter gezupft

er will mich er will mich nicht er will mich

aber wo ist er nur hin

was blieb mir als zur großmutter zu wandern

wie es sich gehört

hatte sie mir doch seinerzeit das märchen

von dieser naiven göre erzählt

insgeheim hoffte ich doch

ihn bei ihr zu treffen

er hat sich den weg ja von mir so ausführlich erklären lassen

vielleicht hat er kreide gefressen

labert ihr was vor

trinkt mit ihr ein paar gläser

seit der großvater sich aus dem staub gemacht hat

sagt sie dem roten zu

ein bettchen ist allemal bequemer

dachte ich schlimmes kind mir

im traum natürlich

die tür war offen

aus dem zimmer war lautes schnarchen zu hören

aber omi wieso hast du so große ohren

damit ich dich besser hören kann

aber omi wieso hast du so – –

hör doch auf mit dem kindischen scheiß

komm ins bett

da habe ich das geladene gewehr gesehen

und es ist mir ganz schwindlig geworden

ich bin doch heute das rotkäppchen

schweißgebadet erwachte ich

eingewickelt verheddert in der decke

wolfi hat mich auswickeln müssen

danke mein jägersmann

flüsterte ich

(2007)

 Fische_blauerR_klein

unter dem eis überleben die fische

(einige texte zum kennenlernen)

(16)

heimatvertrieben

auf der langen winterreise

gefährtenlos

verweht des wildes tritte

taumeln wir

aufrecht kaun

hält rechthaberisch

uns

will kein gott auf erden sein

sind wir selber götter

die ständige wiederholung

dieses satzes

(20)

ich schreibe dich

in mein herz

lausche den geschichten

aus jungmädchentagen

ahne das lustige kind

hinter ernsthaften gebärden

erinnere schlaftrunkene körperwärme

morgentaublicke heublumenhaar

male mir auf vergilbten fotos

deine liebe aus

sehe dich älter werden

an der größe der kinder

kritzle schmetterlingsflügel

um sorgsam verheimlichte falten

verziere mit dem klang deiner stimme

die gesten tröstender hände

wort für wort

buchstabiere ich dich

zwischen den zeilen

lese ich mich

(30)

die zigarette erloschen

kippt aus dem aschenbecher

im weinglas

ermattet eine fliege

eingetrocknete kaffeetropfen

lippenstiftreste auf der tasse

verstohlen ein blick auf die uhr

ich muss gehen

(46)

mit dem unglauben

kommt das denken

die stimme wird klarer

die tänze fallen sich ins wort

don giovanni zweifelt nicht

es lebe die freiheit

wenn du entschwindest

bleibt leere sagen die priester

ich erfinde dich neu

DU mein windhauch

sprachzeiten

(vollständige fassung)

1

als ich reden lernte

trug die sprache

die männerkleider

der trümmerfrauen

in zerschlissenen brotbeuteln

schimmelten

die lebkuchenlieder

der meistersinger

den maulhelden willfährig

lag die geschändete noch

verlaust verseucht

in quarantäne

stolz

kein anderes adjektiv

fiel ihr mehr zu trauer ein

schwor sie ab

niemals wieder

beteuerte sie

und schämte sich

ihrer reime

2

deklinieren lernte ich

auf frühjahrsäckern

auch der starke vater

beugte sich beim pflügen

den imperativ

begriff ich im sommer

tu weiter bub

ein gewitter kommt

in der maisschälsprache

erzählte er mir herbstgeschichten

in reflexen verben

träume ich mich in sein leben

beim schnapsbrennen

auf der küchenbank

studierte ich

seine überlebensgrammatik

3

in der schule

erklärte man mir

auch wörter

haben ein geschlecht

der lehrerin

brachte ich hasenfutter

der pfarrer

zog uns die ohren lang

heimlich

in kammerspielen

übten wir

konjugieren

4

was man uns angetan hat

die bomben die besatzung der russ

aber wir bauen unser geliebtes

vaterland wieder auf

österreich und

die gedanken sind frei

wir waren die opfer und

unser mann der herr karl

in den bierzelten

wir feierten wieder

endete die sprachlosigkeit

a jud bleibt a jud

5

den falschen ton

lehrten sie mich

auf begräbnissen

nie wird mehr gelogen

wortstreu

deckt den sarg

dürres laub

raschelt

beim totenmahl

löffeln sie mitleidsuppe

spiegeln sich

in den fettaugen

wein

löst die zungen

schon schreiben sie

lebensgeschichten um

mit rosen und nelken

kränzen sie

feiern

ihr überleben

6

der arme bettler

bekommt immer

einen teller suppe

ein braves kind

folgt immer

seinen eltern

den grenzstein

versetzt immer

der nachbar

jeder darf dich ablutschen

bist allen gefällig

und billig zu haben

7

sugar baby

von peter kraus

im schulterwurf

beim rock’n roll anglisiert

vormals

mein schätzchen

ich hör es noch singen

i liab di so fest

8

als sie die revolution übten

und transparente malten

in den talaren

der muff von tausend jahren

hob sie ihren rock

und schiss

den magnifizenzen

vor die füße

9

in ihre große liebe

zu den gottesmännern

einst waren sie ein fleisch

mischten sich falsche töne

diene uns

dann lieben wir dich

halten sie schlangenhäute

für ihre wahrheit

10

als die bilder

in den wohnzimmern

gesprächig wurden

verkamst du

zur meterware

start stopp rewind stopp

entenkatermäuse

portionierten dich

sprechblasengerecht

verführst seither minderjährige

unter bettdecken und schulbänken

ächz stöhn würg kotz

11

alle wollten dich

zum priester berufen

nach ihren bildern

nimm deinen sohn

den du liebst

der vater trägt den koffer

kein engel ruft

der autobus reißt den buben

vom weinenden

den geschwistern entfremdet

verführen sie dich

zum josefstraum

in die einsamgrube

stoßen sie

den angstschüler

silentium

der betende zensor

löscht mit dem licht

mutterbriefe

scheuern an fesseln

tränensalzig

hände verraten

was tagebücher

verschweigen

(1988)